Akuter Visusverlust - Augenkrankheiten - MSD Manual Profi-Ausgabe (2024)

Der Verlust der Sehkraft gilt als akut, wenn er sich innerhalb von Minuten bis Tagen entwickelt. Es können ein oder beide Augen sowie nur Teile des Gesichtsfeldes betroffen sein. Patienten mit kleinen Gesichtsfeldausfällen (z. B. durch eine kleine Netzhautablösung) beschreiben ihre Symptomatik mitunter als Verschwommensehen.

Pathophysiology of Acute Vision Loss

Für einen akuten Visusverlust gibt es drei Hauptgründe:

  • Eine Trübung der normalerweise transparenten Strukturen, durch die Lichtstrahlen auf die Netzhaut gelangen (z. B. Hornhaut, Glaskörper)

  • Abnormale Zustände der Retina

  • Affektionen des Sehnervs oder der Sehbahn.

Ätiologie des akuten Sehverlusts

Die häufigsten Ursachen eines akuten Sehverlusts sind:

  • Verschluss der A. centralis retinae (zentraler retinaler Arterienverschluss, zentraler retinaler Venenverschluss)

  • Ischämische Optikusneuropathie (häufig bei Patienten mit Arteriitis temporalis)

  • Glaskörperblutung (verursacht durch diabetische Retinopathie oder Trauma)

  • Verletzungen

Zudem kann ein "plötzlich bemerkter" Sehverlust (pseudo-sudden loss of vision) mit einem "akuten" Sehverlust verwechselt werden. So bemerkt vielleicht ein Patient mit langjähriger Sehkraftminderung auf einem Auge (z. B. durch eine ausgeprägte Katarakt) beim Bedecken des gesunden Auges plötzlich erst die verminderte Sehfähigkeit des anderen Auges.

Das Vorliegen oder Fehlen von Schmerzen hilft dabei, den Sehverlust einzuordnen (siehe Tabelle Wichtige Ursachen eines akuten Sehverlustes).

Die meisten Störungen, die einen kompletten Verlust der Sehkraft bewirken können, sind auch in leichterer Ausprägung möglich, sodass sie nur einen Teil des Auges betreffen und nur zu einem partiellen Gesichtsfeldausfall führen (z. B. Verschluss eines Astes der Retinalarterie oder -vene, lokale Netzhautablösung).

Weniger häufige Ursachen eines akuten Sehverlustes sind:

Tabelle

Bewertung des akuten Sehverlusts

Anamnese

Bei der jetzigen Anamnese stehen die Fragen im Hinblick auf den Beginn, die Dauer, den Verlauf und die Position des Sehverlustes im Vordergrund (mon- oder binokular, partielles oder gesamtes Gesichtsfeld, Bestimmung des exakten Ausfallgebietes). Wichtige optische Symptome sind Mouches volantes, Lichtblitze, Ringe um Lichter, gestörtes Farbsehen und Zacken- oder Mosaikmuster (Flimmerskotome). Der Patient wird nach Augenschmerzen gefragt und ob diese anhaltend sind oder nur bei Augenbewegungen auftreten.

Die Überprüfung der Organsysteme dient der Suche nach extraokularen Symptomen, die in Zusammenhang mit der Erkrankung stehen können: rasche Ermüdung von Kiefer oder Zunge (Claudicatio), temporale Kopfschmerzen, proximale Muskelschmerzen und Steifigkeit (Riesenzellarteriitis) sowie Kopfschmerzen (retinale Migräne).

In der Anamnese sollte nach bekannten Risikofaktoren für Augenerkrankungen (z. B. Kontaktlinsen, starke Kurzsichtigkeit, kürzliche Augenoperationen, Injektionen oder Verletzungen), Risikofaktoren für Gefäßerkrankungen (z. B. Diabetes, Hypertonie) und hämatologische Erkrankungen (z. B. Sichelzellenanämie oder Erkrankungen, wie Waldenström-Makroglobulinämie oder multiples Myelom, die ein Hyperviskositätssyndrom verursachen könnten).

In der Familienanamnese sollte eine Vorgeschichte mit Migränekopfschmerzen vermerkt sein.

Körperliche Untersuchung

Es werden die Vitalfunktionen einschließlich der Körpertemperatur bestimmt.

Wenn die Diagnose eines transitorischen ischämischen Anfalls oder Schlaganfalls als Amaurosis fugax (d. h. zentraler retinaler Arterienverschluss) in Betracht gezogen wird, wird eine vollständige neurologische Untersuchung durchgeführt. Die Schläfen werden auf Pulsationen, Druckschmerzhaftigkeit oder Knotenbildungen über dem Verlauf der Temporalarterie abgetastet. Allerdings bezieht sich der größte Teil der Untersuchungen auf das Auge selbst.

Zur Augenuntersuchung gehören:

  • Visusbestimmung

  • Bestimmung des peripheren Gesichtsfeldes durch Fingerperimetrie

  • Untersuchung des zentralen Gesichtsfeldes mithilfe des Amsler-Gitternetzes

  • Direkte und konsensuelle Lichtreaktion mit dem Swinging-Flashlight-Test

  • Prüfung der Augenmotilität

  • Testung des Farbsehens mit entsprechenden Farbtafeln

  • Lider, Lederhaut und Bindehaut werden nach Möglichkeit mit der Spaltlampe untersucht.

  • Untersuchung der Hornhaut mit einer Fluoreszeinfärbung

  • Untersuchung der Vorderkammer bei Patienten mit Augenschmerzen oder konjunktivaler Injektion auf Zellen und positivem Tyndall (Flare).

  • Untersuchung der Linse mithilfe der direkten Ophthalmoskopie, der Spaltlampe oder beidem auf eine mögliche Katarakt

  • Bestimmung des intraokularen Drucks

  • Ophthalmoskopie (vorzugsweise nach Pupillenerweiterung mit einem Tropfen einesSympathomimetiku*ms, z. B. Phenylephrin 2,5%, oder eines Zykloplegiku*ms (z. B. Cyclopentolat 1% oder Tropicamid 1%) oder beidem; maximale Dilatation nach etwa 20 Minuten). Es wird der gesamten Fundus einschließlich Retina, Makula, Fovea, den Gefäßen, der Papille und ihren Rändern beurteilt.

  • Wenn die Lichtreaktionen der Pupillen normal sind und der Verdacht auf einen funktionellen Visusverlust besteht (selten), wird der optokinetische Nystagmus überprüft. Wenn keine optokinetische Trommel verfügbar ist, kann in der Nähe des Auges des Patienten ein Spiegel langsam bewegt werden. Kann der Patient sehen, folgen die Augen gewöhnlich der Bewegung des Spiegels (was als Vorhandensein von optokinetischem Nystagmus bewertet wird).

Warnzeichen

Der akute Verlust des Sehvermögens selbst ist ein Warnzeichen, die Ursache ist meist schwerwiegend.

Interpretation der Befunde

Es empfiehlt sich bei der Diagnostik eines akuten Sehverlusts systematisches Vorgehen. Bestimmte Muster bei einer Störung des Gesichtsfeldes weisen auf eine bestimmte Ursache hin. Auch andere Befunde lenken den Verdacht auf die Ursache von akutem Sehverlust:

  • Schwierigkeiten bei der Einstellung des Rotreflexes während der Ophthalmoskopie sprechen für eine Trübung der transparenten Strukturen (z. B. verursacht durch Hornhautgeschwür, Glaskörperhämorrhagie oder schwere Endophthalmitis).

  • Retinale Anomalien, die schwer genug sind, um zu einem akuten Visusverlust zu führen, lassen sich ophthalmoskopisch nachweisen, insbesondere wenn die Pupillen erweitert sind. Eine Netzhautablösung kann als blasser, wogender Fallschirm erscheinen; Netzhautvenenverschluss kann deutliche Netzhautblutungen zeigen; und ein retinaler Arterienverschluss kann eine blasse Netzhaut mit einer kirschroten Fovea zeigen.

  • Ein afferenter Pupillendefekt (Fehlen einer direkten Lichtreaktion bei normaler konsensueller Pupillenreaktion) bei ansonsten normalen Untersuchungsbefunden (außer manchmal einer abnormen Papille) deutet auf eine Anomalie von Sehnerv oder Netzhaut hin (d. h. praechiasmal).

Darüber hinaus sind folgende Hinweise dienlich:

  • Eine monokulare Symptomatik deutet auf eine Läsion anterior zum Chiasma hin.

  • Bilaterale, symmetrische (hom*onyme) Gesichtsfelddefekte sprechen für eine postchiasmale Läsion

  • Anhaltende Augenschmerzen sprechen für eine Hornhautläsion (Geschwür oder Abrasion), eine Entzündung der vorderen Augenkammer oder einen erhöhtem Augeninnendruck, während bewegungsabhängige Augenschmerzen charakteristisch für eine Optikusneuritis sind.

  • Temporale Kopfschmerzen deuten auf eine Riesenzellarteriitis oder eine Migräne.

Tests

Erythrozytensedimentationsrate (BSG), C-reaktives Protein und Blutplättchenzahl werden bei allen Patienten durchgeführt, deren Beschwerden (z. B. temporale Kopfschmerzen, Kiefer-Claudicatio proximale Muskelschmerzen, Steifigkeit) oder Symptome (z. B. druckschmerzhafte oder verhärtete A. temporalis, Retinaabblassung, Papillenödem) auf eine Sehnerv- oder Netzhautischämie hindeuten, um eine Riesenzellarteriitis auszuschließen.

Weitere Tests sind in der Tabelle Ursachen des akuten Sehkraftverlusts aufgeführt. Besondere Bedeutung haben dabei die folgenden:

  • Die Retina wird sonographisch untersucht, wenn sie unter indirekter Ophthalmoskopie mit Pupillenerweiterung von einem Augenarzt nicht deutlich zu beurteilen war.

  • Die Gadolinium-verstärkte MRT des Gehirns und der Orbita wird bei Patienten mit Augenschmerzen bei Bewegung oder afferenten Pupillendefekten, insbesondere mit einer Schwellung des Sehnervs bei der Ophthalmoskopie, zur Diagnose von multipler Sklerose durchgeführt.

Behandlung des akuten Sehverlusts

Die zugrunde liegenden Störungen werden behandelt. Die Behandlung sollte in der Regel sofort beginnen, wenn die Ursache behandelbar ist. In vielen Fällen (z. B. bei Arterienverschlüssen) ist es unwahrscheinlich, dass eine Behandlung das betroffene Auge retten kann, aber sie kann das Risiko verringern, dass derselbe Prozess im kontralateralen Auge auftritt oder eine durch denselben Prozess verursachte Komplikation auftritt (z. B. ein ischämischer Schlaganfall).

Wichtige Punkte

  • Die Diagnose und Therapie sollten so schnell wie möglich erfolgen.

  • Sofortige Überweisung an ein Schlaganfallzentrum, wenn der Verdacht auf ein akutes embolisches Ereignis besteht (z. B. Amaurosis fugax, Verschluss der Netzhautarterien, ischämischer Schlaganfall).

  • Ein akuter monokularer Sehverlust mit afferenter Pupillenstörung spricht für eine Läsion des Auges oder des Sehnervs anterior des Chiasma opticum. (praechiasmal)

  • Bei Patienten mit einem akuten monokularen Visusverlust oder einer afferenten Pupillenstörung ohne Augenschmerzen und bei Patienten mit oder ohne ophthalmoskopische Optikusanomalien jedoch ohne weitere Auffälligkeiten bei der Augenuntersuchung muss von einer Optikusschädigung ausgegangen werden (oft ischämisch).

  • Bei Patienten mit akutem monokularen Visusverlust, Augenschmerzen und konjunktivaler Injektion liegt vermutlich ein Ulcus corneae, ein akutes Engwinkelglaukom, eine Endophthalmitis oder eine schwere anteriore Uveitis zugrunde.

Akuter Visusverlust - Augenkrankheiten - MSD Manual Profi-Ausgabe (2024)

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